Bundestagswahl 2013 – Erster Kommentar

Die Bürgerinnen und Bürger haben den Deutschen Bundestag neu zusammengesetzt und die Parteienlandschaft kräftig durcheinander gebracht. Frau Merkel kann Kanzlerin bleiben. Die FDP ist abgewählt. Die SPD scheitert mit ihrer Rotgrün-Strategie. Die Linke wurde zur drittstärksten Kraft. Mit der Alternative für Deutschland klopfte eine neue Protestpartei an die Tür des Bundestages. Die politischen Lager wurden vor neue politische Herausforderungen gestellt.
Angela Merkel wird Bundeskanzlerin bleiben. Die Regierungskoalition aus CDU/CSU/FDP aber wurde abgewählt. Die FDP wird ausweislich der Hochrechnungen um 20:30 Uhr nicht mehr im 18. Deutschen Bundestag vertreten sein. Ob die Union die absolute Mehrheit der Mandate erreicht hat und vier Jahre das Land, erstmals seit 1957, allein regieren kann, ist derzeit noch offen.
Die Union ist die Gewinnerin des Wahlabends. Sie hat ihren Stimmenanteil wieder auf über 40% steigern können. Ob sie damit wieder den alten Status der Volkspartei erlangt hat, kann erst in kommenden Wahlen beantwortet werden. Aber es ist gelungen, erstmals wieder deutliche Stimmengewinne zu erzielen.
Die FDP hat ein desaströses Wahlergebnis erhalten. Das Ergebnis der vorherigen Wahl hat sich als bloße Spekulationsblase erwiesen und war der Anfang vom vorläufigen Ende der parlamentarischen Existenz der FDP im Bundestag. Nachdem sich die FDP bereits unter Westerwelle vom politischen Liberalismus verabschiedet hatte, verspielte sie in vier Jahren Regierungsbeteiligung bei ihren Anhängern ihren Ruf als Steuersenkungspartei und ordnungspolitischer Hort des Marktliberalismus. Die FDP-Führung hat es in den vergangenen Jahren geschafft, den parteipolitisch organisierten Liberalismus in Deutschland auf außerparlamentarisches Niveau herunterzuwirtschaften.
Die SPD erzielte zwar ein leicht verbessertes, aber immer noch eines ihrer schlechtesten Ergebnisse bei Bundestagswahlen. Nur gut ein Viertel der Stimmen, ein Zuwachs von 2,5% gegenüber der Talsohle von 2009, holen die SPD, trotz Haustürwahlkampf und hohem Wahlkampfeinsatz, auf den Boden ihrer politischen Möglichkeiten zurück. Sie kann die tektonischen Verschiebungen in ihrer Anhängerschaft infolge der rotgrünen Reformpolitik 2000 bis 2005 nicht rückgängig machen. Sie hat einen nicht geringen Teil ihrer Anhänger dauerhaft verloren, an die Linke, an »die Nichtwähler« und auch an die CDU. Die SPD konnte in der sozialen Mitte nichts gegen die Union gewinnen, und links gelingt es ihr nicht, die Linke aus dem Parlament zu vertreiben.
Der Ausflug der Grünen in neue, neu-bürgerliche soziale Schichten wurde gestoppt. Sie erreichten ein Ergebnis auf Niveau ihrer Stammwählerschaft, auf welches sie die letzten Phase ihres Wahlkampfes konzentrierten. Die Grünen sahen sich im Wahlkampf heftigem Gegenwind aus dem Lager der Union und nahestehender Organisationen ausgesetzt, der sich insbesondere auf die Steuerpläne der Partei richtete. Damit im Zusammenhang wurden sie als Partei der »Besserwisser« und als »Bevormundungspartei« angegriffen. Offenbar hatten die Grünen unterschätzt, dass die Union den Einbruch in ihre Wählerschichten, etwa in Baden-Württemberg, nicht kampflos hinnehmen würden.
Die Linke hat ein achtbares Wahlergebnis erzielt und wurde drittstärkste Partei vor Grünen und CSU. Sie konnte ihr Wahlergebnis von 2005 bestätigen und widerlegte alle Hoffnungen, sie könne sich als Protestbewegung nach zwei Legislaturperioden erledigt haben. Auch im Westen erreichte sie wieder über fünf Prozent, was ihre Rolle als bundespolitische Partei unterstreicht. Mit dem dritten Einzug in den Bundestag rückt sie in den Kreis der etablierten Parteien auf. Das wird sie vor neue Herausforderungen stellen.
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat, voraussichtlich, den Einzug in den Bundestag knapp verpasst. In der bundesdeutschen Parteienlandschaft gibt es nun eine Protestpartei im rechten, bürgerlichen Spektrum. Die AfD vereinigt einerseits die marktliberalen Ordnungspolitiker aus Union und FDP, die mit dem Euro-Kurs der Regierung und der ihrer Meinung nach heraufziehenden Haftungsunion nicht einverstanden waren, und andererseits sammelte sich, auch von der Linken, Proteststimmen ein. Ihr Wahlkampf in den Ländern spiegelt die Vielfalt der Kräfte, die sich unter dem Dach der »Alternative« versammeln und lassen ahnen, welche Probleme der neuen Partei die Konsolidierung bereiten wird.
Die Wahlbeteiligung lag nur geringfügig höher als beim Tiefstand 2009. Der Wahlkampf vermochte keine qualitativ höhere Wählermobilisierung zu erzeugen. Ein Grund dürfte gewesen sein, dass bereits früh klar war, dass die rotgrüne Wechselstrategie nicht erfolgreich sein und es keine Alternative zur Merkel-Politik würde.
Noch niemals waren bei einer Bundestagswahl in den vergangenen 50 Jahren so viele Stimmen nicht im Bundestag vertreten. Bleibt es bei dem gegenwärtigen Stand, wird fast ein Sechstel der abgegebenen Stimmen nicht parlamentarisch repräsentiert sein. Welche Wirkungen dies auf die Parteien haben wird, ist nicht absehbar, aber es gehört zu den strategischen Fragen, vor denen jetzt die politischen Lager gestellt sind.
Das »bürgerliche« Lager wird klären müssen, ob es auf Dauer mit drei Parteien erfolgreich sein kann und will, oder ob es eine Reunion von FDP und AfD unter nationalliberalen Vorzeichen für geeigneter hält, die politische Macht zu sichern.
Die Stimmenanteile von Union, FDP und AfD erreichen 52% und liegen damit über dem Wert von 2009 für Union und FDP (49%). Das »bürgerliche« Lager lag damit zum zweiten Mal hintereinander wieder deutlich vor dem »linken« Lager.
Im »linken« Lager geht es darum, ob SPD und Grüne den Alleinvertretungsanspruch aufrecht erhalten oder ob die Etablierung der Linkspartei zu einer Erweiterung der strategischen Optionen führt. Für die Grünen speziell stellt sich nach dem Scheitern der Strategie, alles auf die SPD zu setzen, die Frage, ob sie sich weiterhin primär als Partei eines politischen Lagers sehen oder als Grenzgängerin zwischen den Lagern, die sowohl mit der Union als auch mit SPD und Linkspartei Mehrheiten bilden kann.
Die Bürgerinnen und Bürger haben im Bund des politische Handlungsfeld der Parteien neu geordnet. Die 18. Legislaturperiode des Bundestages wird eine Periode sein, in der die Kräfte der alten Ordnungsmuster der Parteien mit den Kräften einer Neuordnung der Verhältnisse zwischen den Parteien heftige Auseinandersetzungen austragen werden.
22.09.2013, 21:00

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Die Bundestagswahl am 22. September 2013

Sonntag ist Wahltag. Der Souverän hat das Wort. Oder er hat es schon stumm in einen Briefumschlag gesteckt. Oder er behält es für sich und bleibt den Wahlen ganz fern. Jedenfalls sind die Schlangen im Wahllokal immer kürzer geworden. Der Souverän begegnet sich nicht mehr so gern?
Wie dem auch sei, hier gibt es einen Vorwahlbericht:
BTW13 Ka Vorwahlbericht

und auf www.neues-deutschland.de und www.rosalux.de in der Wahlnacht aktuelle Zahlen und Kommentare, bis dann Montag in aller Frühe an den bekannten Stellen der Wahlnachtbericht gelesen werden kann.

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15. September 2013: Bayern haben gewählt

Der 17. Bayerische Landtag wurde gewählt, die CSU darf wieder allein regieren. Der Wahlnachtbericht:
LTW BY 2013 Ka Wahlnachtbericht

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Landtagswahl in Bayern am 15.09.2013

Zur Einstimmung auf den Wahlabend:

RLS-Wahlvorbericht_Bayern_Kahrs_1309

oder hier:

http://www.rosalux.de/publication/39857

 

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Die ordnende Hand der Arbeitsämter

Wozu „willige Verwalter“ des Arbeitsmarktgeschehens bereit und in der Lage waren, untersuchte bereits Band 8 der Zeitschrift „Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik“ im Jahre 1990. Er zeigte, heißt es im Editorial, „wie wenig auch hier das Jahr 1933 einen Einschnitt bedeutete, wie gradlinig sich dieses Machtmittel des modernen Staates danach weiterentwickelte und welche Bedeutung der Arbeitsverwaltung bei der Vorbereitung des Krieges und der Verfolgung der jüdischen Minderheit zukam. Aus der Arbeitsvermittlung entwickelte sich Schritt für Schritt die Politik des „Arbeitseinsatzes“, die umfassende Kontrolle über Arbeitende und Nichtarbeitende.“
Der Beitrag „Die ordnende Hand der Arbeitsämter. Zur deutschen Arbeitsverwaltung 1933 bis 1939“ kann hier in drei Teilen gelesen werden:
1990 Ka Ordnende Hand der Arbeitsämter1
1990 Ka Ordnende Hand der Arbeitsämter2
1990 Ka Ordnende Hand der Arbeitsämter3
1990 Ka Ordnende Hand der Arbeitsämter Anmerkungen

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„Verwaltung in Aktion“

Das Bundesarbeitsministerium will sich – endlich – der Gechichte seiner Vergängerinstitution, des Reichsarbeitsministeriums, stellen. Eine Kommission aus Historikerinnen und Historikern wurde berufen (siehe: http://www.bmas.de/DE/Ministerium/Geschichte/historiker-kommission-06-2013.html).
Rainer Blasius berichtete in der FAZ (Nr. 155, 9.7.2013, S. 10) unter der Überschrift „willige Verwalter“ und zitierte den nicht der Kommission zugehörenden Historiker H.G. Hockerts: „Hockerts stellte klar, dass in der Forschung die „bürokratische Dimension“ sehr vernachlässigt worden sei. In der Zeit des Wilhelmsstraßen-Prozesses 1948/49 habe man noch gewusst, „was Ministerialbürokratie ist. Das ist dann vergessen worden.“ Von 1935 an hätten die einzelnen Ministerien mittels Ressortabsprachen untereinander „die Gesetze selbst gemacht“, da es keine Kabinettssitzungen mehr gab. Es habe sich um „Verwaltung in Aktion“ gehandelt, um „Eigeninitiativen der Herrschaftseliten“, auch um „Selbstmobilisierung der Eliten“.“
Neu ist diese Erkenntnis beileibe nicht. Bereits in den 1980er Jahren befasste sich eine Reihe von Hisorikerinnen und Historikern mit dem oftmals reibungslosen Übergang sozialstaatlicher Bürokratien in die „Führerstaat“. So auch eine Tagung des damaligen Sonderforschungsbereiches 333 der Universität München mit dem Evangelischen Forum München zum Thema „Die historische Rolle der Sozialversicherungs- und Gesundheitsträger bei der Durchsetzung politischer Ziele des nationalsozialistischen Führerstaates.“ Einen bescheidenen Beitrag leistete der damalige Lehrbeauftragte des FB Sozialwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg: 1991-10-11 Ka Vortrag Politik RAA

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Zur Erwerbslosenpolitik der KPD

1986/87 zeigte die „Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg“ (ALSO)
http://www.also-zentrum.de/ eine Ausstellung zur Geschichte der lokalen Erwerbslosenbewegung zwischen 1918 und 1933. Als Begleittext zur Ausstellung entstand ein kurzer Text zur Erwerbslosenpolitik der KPD, der sich bemühte, die verschiedenen Entwicklungsstadien als auch die Trennungslinien zum sozialdemokratischen Weg in den Sozialstaat nachzuzeichnen. Ich dokumentiere diesen Text hier in einer Überarbeitung aus dem Jahre 1989 für die Bildungsarbeit der ALSO.
1986-1989-03 Ka KPD-Erwerbslosenpolitik

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Transformation des deutschen Sozialstaates und Rückkehr der „gefährlichen Klassen“

Ein Vortrag aus dem Jahr 2011 zu den verschiedenen Etappen des Kampfes gegen die sozialstaatliche Inklusion der lohnabhängigen Klassen.

Der Link zur Publikation: http://www.rosalux.de/publication/39115/umkaempfter-sozialstaat.html

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Nach acht Jahren Merkel: No trouble?

Regieren bis zum Sommer und dann einen kurzen Wahlkampf führen – die Wahlstrategie der Union ist bislang aufgegangen. Gut zwei Monate vor der Bundestagswahl am 22. September kann von Wahlkampfstimmung, geschweige denn Wechselstimmung im Lande keine Rede sein.

Der Link zu Text von C. Hildebrandt, H. Kahrs und H. Pätzolt: http://rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunkte_09-2013.pdf

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Umverteilen und Neuverteilen

Beitrag in der Zeitschrift „LuXemburg“ Nr. 2/2013

Das Gebot der Stunde lautet »Umfairteilen«. Linke, Grüne und Sozialdemokraten ziehen mit Programmen in den Bundestagswahlkampf, in denen – mal klar und deutlich, mal eher vernuschelt – eine steuerpolitische Kehrtwende verlangt wird. Auf rund 60 Milliarden Euro verzichten die öffentlichen Kassen jährlich, seit die Schröder-Fischer-Regierung Unternehmen, Vermögenseignern und Beziehern hoher Einkommen großzügige Steuergeschenke gemacht hat. Die Folgen sind am Zustand der öffentlichen Infrastruktur zu besichtigen – und an den ausgedünnten kommunalen Dienstleistungen für jene, die auf ihre Nutzung angewiesen sind, weil sie nicht zu den Beschenkten gehören. Die Elitenversteher in den Wirtschaftsredaktionen der großen bürgerlichen Zeitungen haben erkannt, dass sich die Grundstimmung in der Gesellschaft dreht.

Der Link zum vollständigen Beitrag:
http://www.zeitschrift-luxemburg.de/umverteilen-und-neuverteilen/

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Das Buch zum Piratenzauber

Kahrs, Horst (Hrsg):
Piratenzauber. Über eine Gesellschaft, die Freibeuter hervorbringt
Piratenzauber Cover
Inhalt und ausgewählte Beiträge:
Die Autorinnen und Autoren
Potential und Projekt
Conny Hildebrandt / Horst Kahrs / Nelli Tügel
Piratenflaute. Auf dem Weg zu einer Partei unter vielen anderen?
Piratenzauber_Flaute
Wolfgang Storz
Piraten und Massenmedien. Wer beherrscht das Spiel?
Georg Fülberth
Piraten im historischen Kontinuum
Horst Kahrs
Eine neue soziale Idee aus der Mitte der »digitalen Gesellschaft«?
Piratenzauber_Kahrs
Konstanze Kriese
Vom schwierigen Auszug aus dem Fordismus. Arbeit und Produktion im digitalen Zeitalter
Martin Beckmann
Die Piratenpartei und die Digitalisierung der Arbeit
Tobias Schulze
Freies Wissen – die praktische Entknappung einer Ressource
Michael Paetau
Freiheit und Wissensordnung
Jürgen Scheele
Das Netz, die Eigentumsfrage und digitale Commons
Michael Weber
Neue Chancen für Transparenz und Bürgerbeteiligung durch Einsatz modernerer Kommunikationsmethoden
Detlef Kannapin
Die »Fix-it-Ideologie« und ihre gesellschaftlichen Grenzen
Michael Paetau
Kybernetik und flüssige Demokratie
Die Autorinnen und Autoren
Was bleibt?
Piratenzauber_WasBleibt

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Niedersachsen haben gewählt

… und zwar dann doch noch eine neue Landesregierung. Der aktuelle Bericht aus der Wahlnacht findet sich hier und auf der Seite der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
NDS 2013 LTW Wahlnachbericht

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