In eigener Sache: Mitgliedschaft in der Partei DIE LINKE beendet.

Ab dem 1. November 2024 bin ich kein Mitglied der Partei DIE LINKE mehr. Den Austritt habe ich gegenüber der Partei begründet:

Erklärung zum Austritt aus DIE LINKE

Nach mehr als 25 Jahren Mitgliedschaft in der Partei, der ich persönlich viel zu verdanken habe und in der ich vielen Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch freundschaftlich verbunden bin und bleibe, wurde mit den jüngsten Beschlüssen auf dem Berliner Landesparteitag, auf dem Parteitag der Bundespartei sowie meines Berliner Landesvorstandes, am Ende eines bereits länger andauernden politischen Entfremdungsprozesses, ein persönlicher Kipppunkt überschritten.

Ich will diesen Schritt in aller gebotenen Kürze zu erklären versuchen, dabei aber niemand ermuntern, es mir gleich zu tun.

(1) Der jüngste Bundesparteitag hat mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen Entscheidungen für die kommenden elf Monate getroffen, mit denen das parlamentarische Überleben der Partei gesichert werden soll. Eingefordert ist „Geschlossenheit“, weil, zurecht, erkannt worden ist, dass ein sichtbares Ende der „Streitereien“, die dank Wagenknecht, Bundestagsfraktion und mangelnder Streitkultur das Image der Partei prägten, Voraussetzung dafür ist, um im Herbst 2025 überhaupt Aussicht auf Erfolg haben zu können. Geschlossenheit, ohne dass die seit langem schwelenden Fragen und Unterschiede diskutiert und geklärt worden seien. Was machen in einer solchen Situation diejenigen Genossen und Genossinnen, die einerseits kein Interesse haben dazu beizutragen, die Partei zu zerstören oder in der politischen Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen, und die andererseits der Überzeugung sind, dass die Partei sich auf einen falschen Weg begeben hat, für den man weitere Lebenszeit nicht investieren sollte? Der Geschlossenheit zum Trotz für die eigene Auffassung, für andere Mehrheiten streiten? Passives zahlendes Mitglied bleiben? Am Trugbild einer „pluralen Linken“, also welche sich die Partei ja seit 2007 verstand, festhalten und abwarten? Worauf?

Zwei Dinge vor allem sind mir wichtig, die Vorstellung von einer linken Partei und die inhaltlich-strategische Orientierung in einer tiefen gesellschaftlichen Umbruchphase:

(2) Für falsch halte ich den seit Jahren angetretenen organisationspolitischen Weg, der in Halle und mit der Wahl der neuen Parteivorsitzenden bestätigt wurde: weg von einer sozialistischen Gestaltungspartei hin zu einer vor allem außerparlamentarisch sich verortenden, aktivistisch an „Bewegungen“ orientierten Organisation, Sammlungsbewegung, die in hohem Maß auf in der Tendenz antiparlamentarische Symbolpolitik setzt. Eine Partei, die verändern will und dafür sich in Parlamente wählen lässt, muss die parlamentarische Arbeit ernst nehmen, alles andere wäre Betrug an der Wählerin. Wichtiger als „Aktivismus“ und „Haustürgespräche“ wäre für die Zukunft der Parteiorganisation in meinen Augen, die Mitglieder zu ermuntern, verstärkt in der lokalen, kommunalen Arbeit sich zu engagieren, einen gemeinsamen Alltag mit den Menschen, die man vertreten will, herzustellen, in Nachbarschaften, Vereinen, Kleingärten, freiwilligen Feuerwehren usw. – dort wo man „die Politik“ erklären, aber auch Zugänge zum Welt der Politik ermöglichen kann. Also das versuchen wieder herzustellen, was „Kümmererpartei“ immer ausgezeichnet hat, was weit mehr ist als Sozialberatung plus Haustürbesuch. Mit einer solchen Orientierung wäre es meines Erachtens eher möglich, eine organisationelle Basis der Partei aufzubauen, die ein stückweit unabhängig macht vom Haschen um mediale Aufmerksamkeit und von Umfragetrends, weil man eben über das Alltagsbewusstsein derjenigen, die einen wählen könnten und sollten, unmittelbar etwas weiß – und etwas ändern könnte. Ein solches Verständnis von Mitgliederpartei ist über die Jahre hinweg entschwunden, nun scheint es mir gänzlich verloren.

(3) Inhaltlich-strategisch für falsch halte ich die wahlstrategische Zuspitzung auf fast nur sozialpolitisch motivierte (Einkommens-)Verteilungspolitik. (Warum ich das für unzureichend halte, habe ich im Frühjahr hier aufgeschrieben: www.horstkahrs.de, ich will es hier nicht wiederholen.) Den Ansprüchen, die an linke, emanzipatorische Politik in den kommenden Jahren zu richten sind, werden wir damit nicht gerecht, und die Arbeit an der seit 2019 immer wieder beschworenen strategischen und programmatischen Erneuerung der Partei wird weiter blockiert. Das seit 2021 drängende Umsetzungs- und Durchsetzungsproblem linker Forderungen und Politik bleibt unbearbeitet (ebenso wie eine Reihe anderer Fragen, die Bürgerinnen und Bürger, die Linke wählen könnten, beschäftigen). Stattdessen flüchtet man eher symbolisch und zugleich begriffslos zu „Klasse“ und „Klassenpolitik“ (und es ist nicht erkennbar, wie diese Art Anrufung von „Klasse“ das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen und gegen „Nation“ gewinnen kann).

Reicht das, um die Partei zu verlassen? Wahrscheinlich auch politisch betrachtet schon, weil Weichen gestellt sind, weil der Wahl-Zug ins Rollen gekommen ist, weil nötige Debatten über Inhalte und Umsetzungsstrategien immer noch in Schubladen abgelegt werden, bevor sie richtig begonnen wurden. Es kommt indes etwas Biographisches hinzu.

(4) Mein persönlicher, wenn man so will: emotionaler Kipppunkt allerdings waren die jüngsten Beschlüsse zum „Antisemitismus-Streit“ in der Partei. Aus Anträgen, die sich mit dem Antisemitismus in Berlin bzw. Deutschland und potentiell in der eigenen Partei beschäftigen wollten, wurden Texte, die glaubten, sich erst einmal mit der Hamas, dem Staat Israel und – wo mal differenziert wurde – mit seiner aktuellen Regierung, gar der vermeintlich ganzen Geschichte des Nahost-Konflikts beschäftigen zu müssen. Wo en passant auch die Institution „Rechtsstaat“ gestrichen wird. Zu alldem ist schon vieles gesagt und geschrieben worden, was ich hier nicht wiederholen will.

[Gegen bemühte Missinterpretationen eine Klammerbemerkung. (5) Wichtig zu betonen: Weder mit der Hamas noch mit aktuellen Netanyahu-Regierung ist eine friedliche Lösung, ein zukünftiges friedliches Zusammenleben der Menschen im Nahen Osten vorstellbar, möglich. Wenn wir als Linke an der Zuversicht festhalten wollen, dass Menschen auch im Nahen Osten nicht nur unter wechselseitigem Gewaltverzicht, sondern auch gemeinsam zusammenleben können, dann dürfen wir uns nicht undifferenziert auf die Seite einer aktuellen Kriegspartei stellen, dann ist in unserer Welt Empathie für die Menschen auf beiden Seiten, dann hat diese Welt ziemlich viele Grautöne und Raum zwischen den Stühlen.]

(6) Entscheidend, glasklar muss sein, was ich zur gemeinsame Wertebasis in unserer Partei gezählt habe: Es gibt kein Aufweichen der sogenannten deutschen „Staatsräson“ (besser wäre: Räson des Zusammenlebens im deutschen Staatsgebilde, in der deutschen Gesellschaft). Ja, dabei geht aus auch (!) um das Existenzrecht Israels, aber eben nicht nur: zumindest für uns als Antifaschisten umfasst sie diese Räson einen kategorischen Imperativ, der sowohl Staat wie Bürgerinnen und Bürger verpflichtet: Nie wieder sollen in Deutschland Zustände herrschen, in denen Jüdinnen und Juden auf unseren Straßen, in unseren U-Bahnen, in unseren Läden, Schulen und Universitäten Angst haben müssen vor Einschüchterung und Übergriffen. Nie also dürfen Linke in Wort und Tat dazu beitragen, dass sich Jüdinnen und Juden wieder mit ihren religiösen Symbolen nicht in die Öffentlichkeit trauen – wobei zunächst eben erst mal entscheidet, was empfangen, was wahrgenommen wird. Und daraus folgt auch: unsere bedingungslose Solidarität mit Genossinnen und Genossen steht eben doch in Frage, wo sie diesem Anspruch nicht gerecht werden.

(7) Mir scheint, diese wenigen Sätze wären eine notwendige, einfache und allgemein verständliche Klarstellung gewesen, wofür die Partei steht und was eben nicht geht. Eine Klarstellung, die allen mühsam erarbeiteten Floskeln etwas Leben eingehaucht hätte. Eine Klarstellung, die deutlich macht, wo wir eine Grenze ziehen. Und: Es wäre im Sinne eines linken Menschenbildes gewesen, diese Klarstellung zu ergänzen, um einen Aufruf zur praktischen Solidarität – gar auch aktiven Unterstützung – mit allen jüdischen und palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern in unserer Stadt, in unserem Land, die sich gemeinsam in Gesprächen, in israelisch-palästinensischen Initiativen, Vereinen, Einrichtungen – weiterhin und trotz alledem – um wechselseitigem Verstehen, Verständigung und eine gemeinsame friedliche Zukunft bemühen.

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Einige Thesen zur Erneuerung fortschrittlicher Politik in der Linken

Erweiterte (ausgeuferte) schriftliche Fassung der Notizen eines gut 20 minütigen Vortrags auf der Jahrestagung des Netzwerks Progressive Linke am 25.2.2024

Die Auskunft, dass sich die Partei DIE LINKE im Abwärtstrend befindet, besitzt kaum noch Nachrichtenwert. Immerhin gibt es eine Reihe von Menschen auch außerhalb der Partei, die das zutiefst bedauern und sich eine fortschrittliche linke politische Kraft wünschen. Ob die der real existierende Linkspartei diese Wende in den Aufschwung noch schaffen kann, ist umstritten. Die Thesen hier setzen darauf, dass wir das Hoffen dürfen. Und schlagen ein paar zukünftige Punkte vor, an denen sich dieses Hoffen bewähren muss. Die anschließenden Vorschläge für eine erneuerte linke Erzählung (erneuertes Image) entspringen der persönlichen »Sicht auf die Welt« bzw. der eigenen politischen Biografie, suchen also Gleichsinnige, wollen aber nicht wie manch andere Texte behaupten zu wissen, was jetzt »notwendig« ist und getan werden »muss«. 


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Geschichte der Arbeitsmarktpolitik – Arbeitsmarktpolitik im Land Oldenburg 1930 bis 1936

Von Anfang 1992 bis zum Frühjahr 1994 hatte ich die Gelegenheit, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und gefördert vom Land Niedersachsen, zur Geschichte der Arbeitsmarktpolitik und ihrer Institutionen am Beispiel des damaligen Freistaates Oldenburg zu forschen. Das Ergebnis war ein umfänglicher Abschlussbericht, der über das Niedersächsische Staatsarchiv in Oldenburg und die Universitätsbibliothek zugänglich war. 30 Jahre später und mit der Muße eines Rentners habe ich ihn nochmals technisch bearbeitet und mich entschlossen, ihn auch auf diesem Wege zugänglich zu machen. Wegen des Umfanges sind es drei Dateien.

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Gesellschaft der Ungleichen: Inländer ohne deutschen Pass auf dem Arbeitsmarkt – Dossier

In dem kleinen Dossier »Gesellschaft der Ungleichen: Taxation without Representation« stellte ich zu Jahresbeginn die wichtigsten statistischen Daten zur (quantitativen) Bedeutung der Einwohner ohne deutschen Pass für Wirtschaft und Gesellschaft zusammen. Dieses Dossier vertieft die Zusammenstellung von Daten zur Klassenposition der regulär Beschäftigten Ausländer in Deutschland zum Stichtag Ende Dezember 2021. Zusammengestellt werden Daten aus der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Im Mittelpunkt stehen dabei Daten zu Alter, zur regionalen Verteilung und zur Tätigkeit (Wirtschaftszweig, Beruf, Anforderungsniveau) der Inländer ohne deutschen Pass. Ein zentraler Aspekt ist schließlich der mittlere Verdienst nach Region, Berufssegment und Anforderungsniveau. Hier wird die quantitative wie qualitative Unterschichtung des regulären deutschen Arbeitsmarktes in allen Regionen bzw. Ländern besonders deutlich.

Der Linken wird verschiedentlich vorgegeben: In der »Fundamentalkrise des heutigen Kapitalismus muss sie sich erneut als klassenbewusste sozialistische Kraft konstituieren – oder sie versagt und geht unter« und »vom Standpunkt jener, die besonders gefährdet sind, Abhängigkeiten mehr als andere erfahren, auf die Klasse als Ganzes« blicken. Es geht an dieser Stelle nicht um den Klassen-Begriff und die Rolle von Klassenpolitik für die Erneuerung der Linken, sondern allein gegen die Gefahr, bei der Suche nach dem »Standpunkt jener, die besonders gefährdet sind«, diejenigen zu übersehen, die mangels Wahlrecht keine Stimmen einbringen können. Anders formuliert: Eine Linke, die Politik für die »untere Hälfte der Einkommenspyramide« machen will, muss realisieren, dass diese untere Hälfte zu einem erheblichen Teil aus Nichtdeutschen besteht, dass die »Arbeiterklasse« in Deutschland international aus. Und das gerade in den jüngeren Altersgruppen, die mit ihren Beiträgen zu einem nicht geringen Teil dazu beitragen, die aktuellen und zukünftigen Rentenzahlungen an die – überwiegend wahlberechtigten – Älteren zu finanzieren. Ohne ein Gespür für diese primäre »Repräsentationslücke« wird die angestrebte Erneuerung nichts werden. Darauf will dieses Dossier nochmals aufmerksam machen. Auf eine vertiefte Interpretation der Daten wird daher weitgehend verzichtet.

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Eine andere Welt

Eine andere Welt.
Anmerkungen jüngsten Ratschlag der Rosa-Luxemburg-Stiftung an Die Linke

»Die Linke und der interimperiale Krieg« lautet der Titel des jüngsten Papiers des Vorsitzenden des Vorstandes und des Wissenschaftlichen Beirats der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Zuerst veröffentlicht auf www.die-zukunft.eu am 19. Juli und von der Redaktion mit dem Vorspann versehen: »Als Beitrag vor der Konferenz „Strategien konstruktiver Erneuerung“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Wochenende analysieren die Wissenschaftler das Wechselverhältnis von Ukraine-Krieg, imperialer Widersprüche und mangelnder außenpolitischen Autonomie der EU. Und werfen die Frage auf, welche Schlussfolgerungen die deutsche und europäische Linke daraus ziehen müssen.« Statt einer Frage findet man dann aber nur Gewissheiten: https://die-zukunft.eu/die-linke-und-der-interimperiale-krieg/. Warum das Papier ganz andere Fragen, nämlich an die Zukunft der RLS, aufwirft, skizziere ich hier:

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Gesellschaft der Ungleichen: Taxation without Representation

In der Bundesrepublik Deutschland lebten Ende 2021, also noch bevor die Fluchtbewegung vor der russischen Aggression einsetzte, über 11 Mio. Menschen ohne deutschen Pass, etwa jede und jeder siebente Einwohner. Etwa zwei Drittel leben bereits 6 Jahre und länger im Land. 44% sind Unions-Bürger und benötigen keinen Aufenthaltstitel, ein Fünftel verfügt über einen unbefriste­ten und ein weiteres Fünftel über einen befristeten Aufenthaltstitel. Das verbleibende Sechstel wird geduldet oder befindet sich im Asylverfahren. In den Altersgruppen der 20- bis 40jährigen stellen Ausländer ein Fünftel der Wohnbevölkerung. Über 60% der 18- bis 65jährigen Ausländer stehen in einem sozialversicherungspflichtigen Be­schäftigungsverhältnis. Sie zahlen Steuern und Sozialbeiträge, tragen mit ihrer Arbeit also nicht nur zum Wohlstand der bundesdeutschen Gesellschaft bei, sondern füllen auch die öffentlichen Kassen. Von den Entscheidungen über die Verwendung ihren Steuergelder sind sie jedoch aus­geschlossen – taxation without representation. Ein kleines Dossier mit den wichtigsten Daten:

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DIE LINKE und ihre Wählerinnen und Wähler

Eine Geschichte des wechselseitigen Missverstehens?

DIE LINKE hat sich in den vergangenen Jahren durch heftige in- nerparteiliche Auseinandersetzungen an den Rand politischer Bedeutungslosigkeit in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kämpfen manövriert. Ursache sind ungelöste Widersprüche ihrer Gründungsgeschichte als antineoliberale Sammlungsbewegung und eine unterbliebene Parteibildung mit klarer strategischer Orientierung. Ihre Wähler*innen verstanden die Wahlentscheidung eher als Protest und Korrektiv und weniger als Votum für eine eigenständige demokratisch-sozialistische Politik. An- hand der Wahlbewegungen wird argumentiert, dass DIE LINKE ihren Lebenszyklus vollendet hat, weil sie es nicht verstanden hat, ihre innerparteilichen Konflikte als Spiegelbilder gesellschaftlicher Konflikte politisch produktiv zu machen.

Mein vollständige Beitrag im aktuellen (Dezember 2022) Heft der Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft „Prokla“ hier:

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Die Wahl zum 19. Niedersächsischen Landtag am 9. Oktober 2022

Mein Wahlnachtbericht mit ersten Analysen und Deutungen: SPD-Ministerpräsident Weil wird im Amt bestätigt. Die Grünen gewinnen, obwohl sie ihre Grundsätze »verraten«?Friedrich Merz verliert eine Wahl, die er zur Protestwahl gegen die Bundesregierung erklärt hatte. Stattdessen profitiert die AfD von den Toren, die die CDU nach rechts öffnet. DIE LINKE rutscht erneut in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit der Kleinstparteien. Mehr hier im vollständigen Bericht:

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Die Wahl zum 17. Landtag des Saarlandes am 27. März 2022

Die Wahl zum neuen Landtag im Saarland brachte erdrutschartige Veränderungen. Erstmals seit 1994 wird die SPD wieder stärkste Kraft und erreicht eine absolute Mehrheit. Gleichzeitig endet das politisch Projekt von WASG und Oskar Lafontaine, eine linkssozialdemokratische Partei neben der SPD zu etablieren – unter tatkräftiger Mithilfe des Gründervaters selbst. Die Grünen scheitern, so das vorläufige Endergebnis, ganz knapp an einem Wiedereinzug (4,99502%), die FDP klarer mit 4,8%. Die CDU im Saarland erhält durch den neuen Parteivorsitzenden keinen Rückenwind und fährt ihr schlechtestes Ergebnis ein, seit dem das Saarland der Bundesrepublik beigetreten war. Hier der ausführliche Wahlnachtbericht:

Korrektur für Seite 3: Es muss heißen „… die sie fünf Jahre als Wirtschaftsministerin (NICHT: Ministerpräsidentin) zu verantworten hatte.“ [Dank an uwi]

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Repräsentative Wahlstatistik 2021: Altersgruppen – Geburtsjahrgänge – Wahlentscheidungen – und DIE LINKE

In diesem Arbeitspapier frage ich nach möglichen Zusammenhängen zwischen „Alter“ und „Wahlverhalten“: Warum sind die „älteren“ Jahrgänge so wichtig für den Wahlausgang? Lässt sich erkennen, ob und welchen Einfluss der Lebenszyklus auf die Wahlentscheidung hat, welchen die Zugehörigkeit zu einer „Generation“? Die Fragen werden erläutert und erste Antworten vermutet auf der Grundlage der Ergebnissen der repräsentativen Wahlstatistik für die Bundestagswahlen 1990, 2002, 2005, 2009, 2013, 2017 und 2021. Hier ist die Datei:

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Wieder eine verpasste Gelegenheit. Oder: Wozu braucht Die Linke einen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl?

Vergangenen Freitag erreichte mich der jüngste Mitgliederrundbrief aus der Bundesgeschäftsstelle meiner Partei. Im letzten Satz wurde mir lapidar mitgeteilt, dass in der kommenden Woche die Einladung zum nächsten „Mitgliederzoom“ mit den Parteivorsitzenden rausgeschickt werden würde, „zusammen mit der Vorstellung unseres Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten“. Etwa so als handele es sich um eine Randnotiz…
DIE LINKE benennt also, als wäre es eine politische Selbstverständlichkeit, einen eigenen Kandidaten für das höchste, repräsentative Staatsamt. Immerhin einen Mann, der in das aussichtslose Unterfangen geschickt wird, und nicht eine Frau, um nicht auch noch diese Seite der Wahl zu strapazieren. Denn bei der Kandidatur kann es ja nur um eine Sache gehen: In der Bundesversammlung für jemanden anderes als Frank-Walter Steinmeier stimmen zu können. Doch wozu soll da gut sein? Welche Einschätzung der konkreten politischen Situation, ihrer Gelegenheiten und Fallstricke, steckt dahinter. Und hat der amtierende Präsident das Amt wirklich so schlecht ausgefüllt, dass Linke ihn nicht wiederwählen, nicht mit ihm leben könnten?
Welches politische Signal also sendet meine Partei da aus, drei Monate nach der desaströs verlorenen Bundestagswahl? Ja genau: Weiter so! Wie all die Jahre zuvor, so bleiben wie wir sind und immer kräftig auf die eigene Brust trommeln. Finden nur immer weniger Wählerinnen und Wähler anziehend… Dabei wäre jetzt vielleicht die letzte Gelegenheit, sowohl nach innen als auch nach außen das Ausrufezeichen zu setzen: Wir haben verstanden! Wir wollen nicht nur was ändern, wir fangen auch damit an.
In Zeiten, in denen die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens, der Demokratie als Lebensweise und Form der Konfliktaustragung, zerbrechlicher sind als je in den voraufgegangenen fünfzig Jahren, seit dem Brandt’schen Diktum „Mehr Demokratie wagen“; in Zeiten, in denen das faktenbasierte, überprüfbare Argument und der errungene Kompromiss am Ende des Streits vielfach in Verruf gebracht werden; in Zeiten, in denen eine Partei wie die AfD, die die Regeln der parlamentarischen Demokratie bewusst in Verruf bringen will und die die Werte des Grundgesetzes als gemeinsame Grundlage des sozialen und politischen Handelns nicht anerkennt; in Zeiten also, in denen dann noch eine solche Partei zum zweiten Mal bei Bundestagswahlen deutlich stärker geworden ist als die eigene Partei; in solchen Zeiten muss es zu bestimmten politischen Gelegenheiten um mehr als parteipolitische Egoismen gehen. Die Wahl eines Bundespräsidenten ist ein solcher Moment. Hier geht es nicht um Sachthemen, um dieses oder jenes handfestes Interesse, sondern um die Verteidigung und Repräsentanz der parlamentarisch-demokratischen Grundregeln.
Die Amtsübergabe von Angela Merkel an Olaf Scholz war ebenfalls ein solcher, viel kleinerer und wenig bemerkter Moment. Zur Verabschiedung der nunmehr Altkanzlerin erhoben sich die gewählten Volksvertreter zu standig ovations. Auch die Abgeordneten meiner Partei. Allein die Antidemokraten blieben sitzen und verweigerten der Frau, die dieses Land, bei allem, was zurecht zu kritisieren ist, unter Achtung der demokratischen Spielregeln sechzehn Jahre regiert hat, den demokratischen Respekt. Für einen Moment konnte man bei diesem symbolträchtigen Bild, das nur kurz in den Bild-Nachrichten auftauchte, annehmen, dass sich da etwas ändert, auch bei der Linken: Ein Lager der demokratischen Parteien steht zusammen auf, ein politisches Lager, das bei allen Unterschieden darin übereinstimmt, die Interessenkämpfe auf dem Boden des Grundgesetzes auszutragen. Das machte schon Hoffnung, dass die AfD mit ihrem faschistoiden Bewegungsmotor nicht durchkommen wird.
Wenn nun Union, FDP, Grüne und SPD gemeinsam den Bundespräsidenten Steinmeier in eine zweite Amtszeit wählen, die Linke aber – wie vermutlich auch die AfD – um des Symbols der Eigenständigkeit gegen alle anderen einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt, dann hat sich gegenüber den Vorjahren zumindest im Politikverständnis der Partei, deren Mitglied ich bin, wohl doch nichts geändert. Und es soll sich nach dem Willen der Parteiführung dann wohl auch nichts ändern…
Dass die Linke einen eigenen Kandidaten aufstellt, läuft in den politischen Nachrichten unter same procedure as every year… Schadet nix, nutzt politisch nix und nix bewegt sich, wird wohl kalkuliert. So werden wir nie herausfinden, ob eine Erklärung wie die folgende mehr politische Wirkung hätte entfalten können:


Die Wahl des Bundespräsidenten findet 2022 unter schwierigen Bedingungen statt. Das demokratische Zusammenleben und die Werte des Grundgesetzes werden von antidemokratischen Kräften angegriffen. Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der öffentlichen Einrichtungen werden beschimpft, bedroht, mit Mordaufrufen überzogen.
Die Wahl des Bundespräsidenten 2022 bietet die einmalige Gelegenheit, ein starkes Zeichen zu setzen, dass die demokratischen Kräfte dieses Landes zusammenstehen und im Zweifel entschlossen sind, die Regeln der demokratischen Auseinandersetzung gemeinsam zu verteidigen. Frank-Walter Steinmeier hat in seiner bisherigen Amtszeit bewiesen, dass er dafür einsteht.
– 2017 hat er, nach der Flucht der FDP aus den Koalitionsverhandlungen, sehr deutlich gemacht, dass es in einer parlamentarischen Demokratie die Aufgabe der Parteien ist, mit dem Wahlergebnis eine Regierung zu bilden und sich nicht, wenn das Ergebnis nicht den parteiegoistischen Wünschen entspricht, in Neuwahlen zu flüchten.
– In Yad Vashem hielt er als erster Bundespräsident eine Rede, eine Rede, die die Unhintergehbarkeit der Verbrechen des deutschen Staates und die Verstricktheit der deutschen Gesellschaft gerade angesichts des wieder auftrumpfenden Antisemitismus und Nazismus unterstrich: „Es ist das gleiche Böse.“ (https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200123-Israel-Yad-Vashem.html) .
– In zahlreichen Bürgergesprächen versucht er für den demokratischen Dialog und die politische Tugend des Zuhörens zu werben.
Mit einem solchen Bundespräsidenten können wir als Linke auch in den kommenden fünf Jahren politisch gut leben. Wir verzichten daher auf die politische Symbolik eines eigenen Kandidaten und unterstützen zusammen mit den anderen demokratischen Parteien die Wiederwahl des amtierenden Bundespräsidenten.

Es wäre ein Versuch gewesen, aus den politischen Routinen, die Die Linke unter die 5%-Marke geführt haben, auszubrechen.
Verfasst am 8. Januar 2022

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Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag – Der Wahlnachtbericht

Die Bundestagswahl brachte etliche Überraschungen. Die SPD besiegt erstmals wieder die Union. Die Linke bleibt nur aufgrund der drei Direktmandate von Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi als „Gruppe“ im Bundestag vertreten und muss sich neu erfinden. Die nächste Regierung wird voraussichtlich eine Dreier-Koalition von X mit Grünen und FDP und wird ein neues Koalitionsmodell entwickeln müssen. Mehr zur Wahl in meinem Wahlnachtbericht hier:

http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2021/09/WNB-BTW21.pdf

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