Repräsentative Wahlstatistik 2021: Altersgruppen – Geburtsjahrgänge – Wahlentscheidungen – und DIE LINKE

In diesem Arbeitspapier frage ich nach möglichen Zusammenhängen zwischen „Alter“ und „Wahlverhalten“: Warum sind die „älteren“ Jahrgänge so wichtig für den Wahlausgang? Lässt sich erkennen, ob und welchen Einfluss der Lebenszyklus auf die Wahlentscheidung hat, welchen die Zugehörigkeit zu einer „Generation“? Die Fragen werden erläutert und erste Antworten vermutet auf der Grundlage der Ergebnissen der repräsentativen Wahlstatistik für die Bundestagswahlen 1990, 2002, 2005, 2009, 2013, 2017 und 2021. Hier ist die Datei:

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Wieder eine verpasste Gelegenheit. Oder: Wozu braucht Die Linke einen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl?

Vergangenen Freitag erreichte mich der jüngste Mitgliederrundbrief aus der Bundesgeschäftsstelle meiner Partei. Im letzten Satz wurde mir lapidar mitgeteilt, dass in der kommenden Woche die Einladung zum nächsten „Mitgliederzoom“ mit den Parteivorsitzenden rausgeschickt werden würde, „zusammen mit der Vorstellung unseres Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten“. Etwa so als handele es sich um eine Randnotiz…
DIE LINKE benennt also, als wäre es eine politische Selbstverständlichkeit, einen eigenen Kandidaten für das höchste, repräsentative Staatsamt. Immerhin einen Mann, der in das aussichtslose Unterfangen geschickt wird, und nicht eine Frau, um nicht auch noch diese Seite der Wahl zu strapazieren. Denn bei der Kandidatur kann es ja nur um eine Sache gehen: In der Bundesversammlung für jemanden anderes als Frank-Walter Steinmeier stimmen zu können. Doch wozu soll da gut sein? Welche Einschätzung der konkreten politischen Situation, ihrer Gelegenheiten und Fallstricke, steckt dahinter. Und hat der amtierende Präsident das Amt wirklich so schlecht ausgefüllt, dass Linke ihn nicht wiederwählen, nicht mit ihm leben könnten?
Welches politische Signal also sendet meine Partei da aus, drei Monate nach der desaströs verlorenen Bundestagswahl? Ja genau: Weiter so! Wie all die Jahre zuvor, so bleiben wie wir sind und immer kräftig auf die eigene Brust trommeln. Finden nur immer weniger Wählerinnen und Wähler anziehend… Dabei wäre jetzt vielleicht die letzte Gelegenheit, sowohl nach innen als auch nach außen das Ausrufezeichen zu setzen: Wir haben verstanden! Wir wollen nicht nur was ändern, wir fangen auch damit an.
In Zeiten, in denen die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens, der Demokratie als Lebensweise und Form der Konfliktaustragung, zerbrechlicher sind als je in den voraufgegangenen fünfzig Jahren, seit dem Brandt’schen Diktum „Mehr Demokratie wagen“; in Zeiten, in denen das faktenbasierte, überprüfbare Argument und der errungene Kompromiss am Ende des Streits vielfach in Verruf gebracht werden; in Zeiten, in denen eine Partei wie die AfD, die die Regeln der parlamentarischen Demokratie bewusst in Verruf bringen will und die die Werte des Grundgesetzes als gemeinsame Grundlage des sozialen und politischen Handelns nicht anerkennt; in Zeiten also, in denen dann noch eine solche Partei zum zweiten Mal bei Bundestagswahlen deutlich stärker geworden ist als die eigene Partei; in solchen Zeiten muss es zu bestimmten politischen Gelegenheiten um mehr als parteipolitische Egoismen gehen. Die Wahl eines Bundespräsidenten ist ein solcher Moment. Hier geht es nicht um Sachthemen, um dieses oder jenes handfestes Interesse, sondern um die Verteidigung und Repräsentanz der parlamentarisch-demokratischen Grundregeln.
Die Amtsübergabe von Angela Merkel an Olaf Scholz war ebenfalls ein solcher, viel kleinerer und wenig bemerkter Moment. Zur Verabschiedung der nunmehr Altkanzlerin erhoben sich die gewählten Volksvertreter zu standig ovations. Auch die Abgeordneten meiner Partei. Allein die Antidemokraten blieben sitzen und verweigerten der Frau, die dieses Land, bei allem, was zurecht zu kritisieren ist, unter Achtung der demokratischen Spielregeln sechzehn Jahre regiert hat, den demokratischen Respekt. Für einen Moment konnte man bei diesem symbolträchtigen Bild, das nur kurz in den Bild-Nachrichten auftauchte, annehmen, dass sich da etwas ändert, auch bei der Linken: Ein Lager der demokratischen Parteien steht zusammen auf, ein politisches Lager, das bei allen Unterschieden darin übereinstimmt, die Interessenkämpfe auf dem Boden des Grundgesetzes auszutragen. Das machte schon Hoffnung, dass die AfD mit ihrem faschistoiden Bewegungsmotor nicht durchkommen wird.
Wenn nun Union, FDP, Grüne und SPD gemeinsam den Bundespräsidenten Steinmeier in eine zweite Amtszeit wählen, die Linke aber – wie vermutlich auch die AfD – um des Symbols der Eigenständigkeit gegen alle anderen einen eigenen Kandidaten ins Rennen schickt, dann hat sich gegenüber den Vorjahren zumindest im Politikverständnis der Partei, deren Mitglied ich bin, wohl doch nichts geändert. Und es soll sich nach dem Willen der Parteiführung dann wohl auch nichts ändern…
Dass die Linke einen eigenen Kandidaten aufstellt, läuft in den politischen Nachrichten unter same procedure as every year… Schadet nix, nutzt politisch nix und nix bewegt sich, wird wohl kalkuliert. So werden wir nie herausfinden, ob eine Erklärung wie die folgende mehr politische Wirkung hätte entfalten können:


Die Wahl des Bundespräsidenten findet 2022 unter schwierigen Bedingungen statt. Das demokratische Zusammenleben und die Werte des Grundgesetzes werden von antidemokratischen Kräften angegriffen. Politikerinnen und Politiker, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der öffentlichen Einrichtungen werden beschimpft, bedroht, mit Mordaufrufen überzogen.
Die Wahl des Bundespräsidenten 2022 bietet die einmalige Gelegenheit, ein starkes Zeichen zu setzen, dass die demokratischen Kräfte dieses Landes zusammenstehen und im Zweifel entschlossen sind, die Regeln der demokratischen Auseinandersetzung gemeinsam zu verteidigen. Frank-Walter Steinmeier hat in seiner bisherigen Amtszeit bewiesen, dass er dafür einsteht.
– 2017 hat er, nach der Flucht der FDP aus den Koalitionsverhandlungen, sehr deutlich gemacht, dass es in einer parlamentarischen Demokratie die Aufgabe der Parteien ist, mit dem Wahlergebnis eine Regierung zu bilden und sich nicht, wenn das Ergebnis nicht den parteiegoistischen Wünschen entspricht, in Neuwahlen zu flüchten.
– In Yad Vashem hielt er als erster Bundespräsident eine Rede, eine Rede, die die Unhintergehbarkeit der Verbrechen des deutschen Staates und die Verstricktheit der deutschen Gesellschaft gerade angesichts des wieder auftrumpfenden Antisemitismus und Nazismus unterstrich: „Es ist das gleiche Böse.“ (https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200123-Israel-Yad-Vashem.html) .
– In zahlreichen Bürgergesprächen versucht er für den demokratischen Dialog und die politische Tugend des Zuhörens zu werben.
Mit einem solchen Bundespräsidenten können wir als Linke auch in den kommenden fünf Jahren politisch gut leben. Wir verzichten daher auf die politische Symbolik eines eigenen Kandidaten und unterstützen zusammen mit den anderen demokratischen Parteien die Wiederwahl des amtierenden Bundespräsidenten.

Es wäre ein Versuch gewesen, aus den politischen Routinen, die Die Linke unter die 5%-Marke geführt haben, auszubrechen.
Verfasst am 8. Januar 2022

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Die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag – Der Wahlnachtbericht

Die Bundestagswahl brachte etliche Überraschungen. Die SPD besiegt erstmals wieder die Union. Die Linke bleibt nur aufgrund der drei Direktmandate von Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi als „Gruppe“ im Bundestag vertreten und muss sich neu erfinden. Die nächste Regierung wird voraussichtlich eine Dreier-Koalition von X mit Grünen und FDP und wird ein neues Koalitionsmodell entwickeln müssen. Mehr zur Wahl in meinem Wahlnachtbericht hier:

http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2021/09/WNB-BTW21.pdf

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Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 26.9.2021

Manuela Schwesig und die SPD gewinnen mit großem Vorsprung die Landtagswahl. Die AfD verliert, bleibt aber zweitstärkste Kraft vor der Union. DIE LINKE wird nun auch in Mecklenburg-Vorpommern einstellig (9,9%), Grüne und FDP sind wieder im Landtag vertreten. Die SPD hat mehrere Regierungsoptionen. Der Wahlnachtbericht: http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2021/09/WNB-LTW21-MV.pdf

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Aufstieg der Rechtsradikalen, Schwäche der Linken und „die“ Kultur der „arbeitenden Klassen“

„Sozialer Wandel und politische Repräsentation“ – dieses große Themenfeld stellt grundsätzliche Fragen nach der Verbindung zwischen dem Sozialen und dem Politischen: Wie wirkt der „soziale Wandel“ auf das System der politischen Repräsentation sozialer Schichten und Klassen durch Parteien und durch ins politische Feld agierende Bewegungen? Aber auch: Gibt es Parteien, die den sozialen Wandel „repräsentieren“? Seltener noch wird auch gefragt: Welche Wirkungen hat das politische System, das Mosaik der „politischen Repräsentation“ auf die Pfade, die der soziale Wandel einschlägt?
Ein Vortrag für das „Berliner Seminar“ von Transform! – die erweiterte schriftliche Fassung hier: Aufstieg der Rechtsradikalen, Schwäche der Linken und die Kultur der „arbeitenden Klassen“

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Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni 2021

Die CDU hat die Landtagswahl gewonnen und Armin Laschet steht gut da. Der feuchte Traum der AfD haben sich nicht erfüllt, sie verlor 3,4% und 14 von 15 Direktmandaten – nicht mehr als ein Dämpfer. Durch den Wiedereinzug der FDP erhöhen sich die Koalitionsmöglichkeiten der CDU – in einem Parlament, das von Parteien rechts der politischen Mittellinie dominiert wird. In den meisten Wahlkreisen kommen die Parteien links zusammen nicht einmal mehr suf ein Viertel der Stimmen. DIE LINKE sieht nach dem erneuten Debakel schweren Zeiten entgegen. Hier der ganze Wahlnachtbericht: – bitte beachten: die amtliche Berechnung der Mandate ergab, dass die AfD 23 und die Grünen 6 Mandate erhalten (statt der auf Basis der ARD-Berechnungen berichteten 22 und 7 Mandate)

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Der Wunsch nach einem Regierungswechsel und politischem Neustart in einer Umfrage vom Mai

Gut vier Monate für der Bundestagswahl fanden es mehr als 60% der Deutschen in einer repräsentativen Befragung »gut«, wenn die Bundesregierung in Berlin wechseln würde. Das sind die höchsten Werte, seit diese Frage Anfang der 1990er Jahre erhoben wurde, sagt die Bertelsmann-Stiftung. Lediglich noch jede achte Befragte fände einen Regierungswechsel »nicht gut«. Nur unter den Anhängerinnen der CDU/CSU befand eine relative Mehrheit von 37% (gegenüber 28%), dass ein Regierungswechsel nicht gut wäre. Breitet sich also politische Wechselstimmung im Land aus? Es scheint so:

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Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni – Vorwahlbericht


Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt läuft bereits: Legt man die Erfahrungen der beiden Frühjahrswahlen am 14. März im Südwesten zugrunde, könnte bereits mehr als ein Drittel der Wahlentscheidungen definitiv per abgesandter Briefwahl gefallen sein. Am Ende könnten am 6. Juni vielleicht nicht einmal die Hälfte der Stimmen direkt im Wahllokal abgegeben werden. Wer sich weiter im Vorfeld des Wahlsonntags mit dem Wahlverhalten im Land beschäftigen möchte, findet in meinen „Vorwahlbericht“, sprich den Teil des Wahlnachtberichts, der sich mit den Vorwahlen und sozialen Hintergründen befasst Daten zur sozioökonomischen Entwicklung, zum Parteiensystem und zum Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt ab 1990.

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Die Landtagswahlen am 14. März 2021 in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – Wahlnachtbericht

Die Landtagswahlen haben neue politische Möglichkeiten eröffnet: Regieren ohne die Union könnte möglich sein. Bewährte Persönlichkeiten ziehen ihre Parteien mit. Mein Wahlnachtbericht hier:

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„Corona“ als Richtungsstoß. Demokratische Resilienz – resiliente Demokratie. Ein Plädoyer von Thomas Falkner und Horst Kahrs

Diese Studie ist Ende 2020 in leicht überarbeiteter und korrigierter Form als Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen:

https://www.rosalux.de/news/id/42945/corona-als-richtungsstoss

Spätestens als die SarsCov2-Pandemie im Februar 2020 Europa definitiv erreicht hatte, begannen hier folgerichtig breite öffentliche Diskurse über ihre gesellschaftspolitischen Hintergründe und Perspektiven, über den richtigen Weg zur Eingrenzung des Virus, über die Wirkungen auf einzelne soziale Gruppen und Branchen, über ihre Dimension sowie über historische Parallelen und damit verbundene Lehren. Recht schnell verästelten sich die Debatten. Aus unterschiedlichen Nuancierungen und widersprüchlichen Positionen, aus Zielkonflikten samt den damit verbundenen Abwägungen sowie widerstreitenden Interessen wurden zum Teil intellektuelle oder politische Polarisierungen, teils auch Proteste gegen die Corona-bedingten Einschränkungen, realitätsfremde Schuldzuweisungen und sogar Leugnung der Gefährlichkeit des Virus.

Mit den eingeführten Schutzmaßnahmen und Rettungspaketen begann auch die Auseinandersetzung um die Richtung, die die Gesellschaften in und nach „Corona-Zeiten“ einschlagen sollen. Fast alle Positionen betonen dabei, dass die Normalität nach Corona keine einfache Neuauflage der Normalität vor der Krise sein wird und sein darf. Unterhalb dieser Ebene entfaltet sich eine deutliche Konkurrenz klassischer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Denkrichtungen und interessengeleiteter Bestrebungen.

Dem muss sich auch die gesellschaftliche Linke stellen. So sehr sie sich in und durch die Krise in vielen ihrer Positionen und Auffassungen bestätigt sehen mag, so sehr muss sich auch die Linke in der neuen Lage definieren und positionieren, ihre Programmatik befragen, auf die Herausforderungen des Weges zu einer neuen Normalität hin legitimieren und weiter entwickeln. Die Linke hatte und hat aber nie nur Einzelinteressen im Blick, sondern immer auch das gesellschaftliche Ganze, eine gesamtgesellschaftliche Alternative.

Die Frage ist, ob der entsprechende Pfadwechsel jetzt, in der Krise, vollzogen werden kann und muss – oder ob wir nicht eher am Beginn einer Entwicklungsphase stehen, in der wichtige Schritte hin zu einer grundlegenden Transformation eingeleitet werden müssen. Die Autoren gehen davon aus, dass die akute gesundheitliche Krise – einschließlich einer möglichen zweiten Infektions-Welle – noch bis zur Jahreswende 2021/22 anhalten kann und eine “neue Normalität” erst gegen Ende des gerade begonnenen Jahrzehnts erreicht sein wird. Diese “neue Normalität” sollte dann allerdings die Kernelemente einer neuen Entwicklungslogik beinhalten und so strukturiert sein, dass sich die Triebkräfte für immer neuen Wandel entlang dieser Logik frei entfalten und die weitere Richtung bestimmen können.

Dafür braucht es ein Leitmotiv, das Krisenbewältigung mit Krisenprävention verbindet und das sich nicht auf Corona und Gesundheit einengt, sondern auf alle grundlegenden Herausforderungen unserer Zeit zu beziehen ist – vom Klimawandel über die Digitalisierung bis zur Gestaltung der Globalisierung und der Beseitigung der Unterentwicklung.

Um dem gerecht zu werden, plädieren wir für ein Leitmotiv, das in den fachlichen Debatten über Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise zunehmend eine Rolle spielt: Resilienz. Allgemein wird darunter die Fähigkeit verstanden, schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen.

Der Begriff der Resilienz ist unter Linken stark umstritten, wird teilweise als systemstabilisierender Herrschaftsbegriff verstanden und stößt auf Ablehnung. Die Autoren hingegen wollen eigene, linke Inhalte und Ansprüche in den Diskurs und in die politische Entscheidungsfindung einbringen – zumal jetzt in der Corona-Krise, wo ein spürbarer Such- und Orientierungsprozess eingesetzt hat. Wir werden begründen, warum das möglich und sinnvoll ist. Es geht uns nicht allein um ökonomische, sondern mindestens genauso um soziale und kulturelle Komponenten – es geht uns um demokratische Resilienz, um Resilienz der Demokratie.

Uns leitet ein normatives Verständnis von Demokratie: Demokratie als Staatsform, als Lebensform und als Denkform, in der sich Demokratie und Gerechtigkeit nicht begrifflich trennen lassen. In diesem Sinne ist Demokratie kein Zustand, sondern der ständige Kampf gegen alle Kräfte, die, wie Rainer Frost jüngst sagte, „dem Ziel entgegenstehen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Mitglieder einander als Gleiche begegnen und Ungleichheiten insbesondere vor denen gerechtfertigt werden müssen, die am schlechtesten abzuschneiden drohen“[1]. Nicht der Staat, sondern die Bürgerinnen und Bürger sind die letzte Instanz, die für die Behauptung demokratischer Zustände in der Corona-Krise verantwortlich sind.

In diesem Bezugsrahmen betrachten wir verschiedene Aspekte der Bedeutung des Staates und von staatlichem Handeln. Im Moment der Krise setzte bezüglich des Staates eine starke Fixierung auf Rechts- und Verwaltungsakte sowie auf die Bereitstellung von Geld ein. Der Staat ist aber mehr. Er ist in modernen Gesellschaften selbst eine höchst komplexe Struktur mit inneren checks and balances, mit vielfachen Wechselwirkungen und auch Grenzen zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen, sozialen Gruppen und Klassen. Er verteilt um und erbringt Leistungen für viele – möglichst für alle und jeden nach Bedarf. Der Staat muss selbst resilient sein. Er braucht Legitimation und Regularien, Autorität, Ressourcen und Partner in der Gesellschaft und in der Welt. Resilienz verlangt vom Staat weitaus mehr als ökonomisch, finanz- oder geldpolitisch determiniertes Herangehen.

Gesellschaft und Staat sind in all ihren Bereichen von Machtverhältnissen geprägt und von vermachteten Strukturen durchzogen. Von ihnen gehen Prämissen und auch Ausschlusskriterien bei politischen Abwägungen aus. Sie können Flexibilität und Innovation verhindern. Macht kann aber auch aus diesem Gerüst heraustreten und sich im Sinne von Hannah Ahrendt als Resultat der menschlichen Fähigkeit erweisen, “sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.”[2] “Das Grundphänomen der Macht”, so Habermas, ist dann “nicht die Instrumentalisierung eines fremden Willens für eigene Zwecke, sondern die Formierung eines gemeinsamen Willens in einer auf Verständigung gerichteten Kommunikation.”[3]

Dazu will diese Studie einen Beitrag leisten. Wir wollen Ansätze dafür anhand von größeren Debatten-Schwerpunkten der beginnenden Corona-Zeit aufspüren, neue Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten herausstellen und produktiv machen.

Wir nähern wir uns den Dingen sowohl auf die politics- wie auf der policy-Ebene. Es geht also sowohl um den politischen Handlungsraum, um seine Strukturen und Akteure, wie um Schlussfolgerungen für zentrale politische Handlungsfelder, auf denen Veränderungen eingeleitet werden müssen, um den Ansprüchen demokratischer Resilienz entsprechen zu können und eine progressive Entwicklung der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei ist keine geschlossene Studie entstanden, sondern eine Abfolge einzelner, mehr oder weniger selbstständiger Kapitel.

In Kapitel 1 „Resilienz, Demokratie und der Sprung nach vorn“ setzen wir uns mit dem Begriff „Resilienz“ auseinander und behaupten, dass er in den aktuellen Debatten über die Lehren der Pandemie von linker Seite in mehrfacher Hinsicht in Anschlag gebracht werden kann: Stärkung der Systeme und Organisationen der Alltagsökonomie wie der Institutionen und Verfahren einer demokratischen Gesellschaft bzw. der politischen Ökonomie einer sozialen Demokratie.

Kapitel 2 zu „Staat und Demokratie“ resümiert grundlegende Funktionen des bürgerlichen Staates und das Spannungsverhältnis zwischen „Schutz“ und „Freiheit“.

Das Kapitel 3 „Vorbereitsein“ analysiert die Risikoanalysen im Auftrag der Bundesregierung und ihre mangelnde Beachtung im parlamentarischen Betrieb und in der öffentlichen Debatte. Die SARS-Cov-2-Pandemie zeigt, dass „so etwas doch bei uns möglich ist“ und wirft die Frage auf, wie Risikoanalysen angelegt werden müssten, die nicht nur auf eine technisch-organisatorische, sondern auch eine demokratische Krisenbewältigung vorbereiten sollen.

Im Kapitel 4 „Die Stunde der Exekutive und die fehlende Repräsentation“ verfolgen wir die bundesdeutsche Krisenbewältigung zunächst mit der Frage, wie Entscheidungen in einer Situation des Nichtwissens getroffen wurden. Wir behaupten im weiteren, dass es an einer transparenten „Kultur“ des Abwägens zum Beispiel verschiedener Grundrechte, Folgen und Wirkungen sowie des  Experimentierens mangelt, gerade in einer Zeit, in der experimentelle Politik gefragt ist. Weiter stellen wir fest, dass es sowohl im politischen Betrieb als auch in der medialen Öffentlichkeit erhebliche Lücken in der Repräsentation von Interessen, Sorgen, Notlagen, Sichtweisen du Zweifeln gab und gibt.

Im Kapitel 5 „Auf der Suche nach der Welt und ihrer kleinsten Einheit“ verfolgen wir zunächst, wie und warum die nationalstaatlichen Grenzen und die nationalstaatlichen Kompetenzen in der ersten Phase der Corona-Bedrohung zum entscheidenden Rahmen für die Abwehr des Virus und zur Begrenzung seiner Ausbreitung wurden. Sodann arbeiten wir heraus, dass herkömmliche administrative und politische Grenzen auch als Instrumente des ersten Zugriffs für die Pandemie-Bekämpfung und für eine an Resilienz-Kriterien orientierte Bewältigung einer solchen Herausforderung nur bedingt geeignet sind. Schließlich entwickeln wir, wie und warum innerstaatliche und europäische regional basierte Strukturen einen besseren Zugriff ermöglichen. Fluchtpunkt der Überlegungen ist die These, dass für Resilienz eine möglichst große Übereinstimmung von Räumen des Alltags und Räumen der politischen Entscheidung förderlich ist.

Im Kapitel 6 „Eine neue Etappe für den Vorsorgestaat“ zeigen wir eingangs kurz, wie der moderne, auf Vorsorge orientierte Staat immer auch eine Lehre aus Naturkatastrophen wie sozialen Katastrophen war und sich in seiner konkreten Gestalt im Ergebnis gesellschaftlicher Kräftekonstellationen und Kräfteverhältnisse gestaltete. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir dann Resilienz einerseits als Resilienz der gesellschaftlichen Subsysteme (z. B. des Gesundheitswesens), andererseits als Resilienz der sozialen Ordnung (von der Einkommensverteilung bis zur Integration sozialer Gruppen in die sozialstaatliche Absicherung).

Im Kapitel 7 „Kapitalismus geht auch anders“ setzen wir uns mit Verantwortung und Möglichkeiten des Staates für eine nicht nur auf „Rettung“ des Bestehenden, sondern auf transformatorische Erneuerung und progressive Anpassung des Wirtschaftsorganismus an strategische Strukturwandelprozesse zielende Intervention auseinander. Mit Blick auf die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen plädieren wir dafür, den Blick über klassische Umverteilung und Verschuldung hinaus auf eine verantwortungsvolle Umgestaltung des Finanzsektors zu richten, die auch Teile des gigantischen virtuellen Geldüberhangs investiv in die Realwirtschaft überführen und damit für die Bewältigung der Corona-Krise nutzbar machen könnte.

Berlin, im September 2020


[1]           Rainer Forst, Die verwahrloste Demokratie; Paulskirchenrede am 2.9.2020, http://sz.de/1.5017022

[2]                Ahrendt, Hannah: Macht und Gewalt. Piper: München/Zürich 1970, S. 45.

[3]                Habermas, Jürgen: Hannah Arendts Begriff der Macht. In: Merkur, Nr. 341, Oktober 1976

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Pandemie: Stimmungen und Einstellungen von März bis Mitte Mai

Eine kommentierte Zusammenstellung der Umfragen zur „Corona-Krise“ und den staatlichen Maßnahmen hier:

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Mutmaßungen über die Zeit mit und nach „Corona“

Die Corona-Pandemie kam wie aus heiterem Himmel und doch mit Ansage. Die Krise wird nicht irgendwann vorbei sein und die Welt zur Normalität zurückkehren. Das kann man auf jeden Fall von vorhergehenden globalen Pandemien und Krisen lernen: Manche bleiben an der Oberfläche, andere gehen in die Tiefe. Die Zukunft ist dann nicht mehr das aufgrund der bisherigen Erfahrungen zu erwartende, sondern etwas Unerwartetes. Sie ändert ihre Richtung. Dass die Corona-Krise eine solche tiefe Krise ist, dafür spricht unter anderem, dass sie zeitlich zusammenfällt mit den globalen Wirtschaftskämpfen und der Neuordnung der internationalen Arbeitsteilung, der heraufziehenden Klimakatastrophe, den Migrationsbewegungen und der Krise der Demokratien. Wenn es nicht wieder so sein wird, wie es war, was wäre dann für das Handeln in Zeiten großer Unsicherheit und Unberechenbarkeit zu bedenken?

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