Der Text ist ein Wald, in dem der Leser Jäger ist. Knistern im Unterholz – der Gedanke, das scheue Wild, das Zitat – ein Stück aus dem tableau. (Walter Benjamin) – Texte von Horst Kahrs und Johann Seebeck
Manuela Schwesig und die SPD gewinnen mit großem Vorsprung die Landtagswahl. Die AfD verliert, bleibt aber zweitstärkste Kraft vor der Union. DIE LINKE wird nun auch in Mecklenburg-Vorpommern einstellig (9,9%), Grüne und FDP sind wieder im Landtag vertreten. Die SPD hat mehrere Regierungsoptionen. Der Wahlnachtbericht: http://www.horstkahrs.de/wp-content/uploads/2021/09/WNB-LTW21-MV.pdf
„Sozialer Wandel und politische Repräsentation“ – dieses große Themenfeld stellt grundsätzliche Fragen nach der Verbindung zwischen dem Sozialen und dem Politischen: Wie wirkt der „soziale Wandel“ auf das System der politischen Repräsentation sozialer Schichten und Klassen durch Parteien und durch ins politische Feld agierende Bewegungen? Aber auch: Gibt es Parteien, die den sozialen Wandel „repräsentieren“? Seltener noch wird auch gefragt: Welche Wirkungen hat das politische System, das Mosaik der „politischen Repräsentation“ auf die Pfade, die der soziale Wandel einschlägt? Ein Vortrag für das „Berliner Seminar“ von Transform! – die erweiterte schriftliche Fassung hier: Aufstieg der Rechtsradikalen, Schwäche der Linken und die Kultur der „arbeitenden Klassen“
Die CDU hat die Landtagswahl gewonnen und Armin Laschet steht gut da. Der feuchte Traum der AfD haben sich nicht erfüllt, sie verlor 3,4% und 14 von 15 Direktmandaten – nicht mehr als ein Dämpfer. Durch den Wiedereinzug der FDP erhöhen sich die Koalitionsmöglichkeiten der CDU – in einem Parlament, das von Parteien rechts der politischen Mittellinie dominiert wird. In den meisten Wahlkreisen kommen die Parteien links zusammen nicht einmal mehr suf ein Viertel der Stimmen. DIE LINKE sieht nach dem erneuten Debakel schweren Zeiten entgegen. Hier der ganze Wahlnachtbericht: – bitte beachten: die amtliche Berechnung der Mandate ergab, dass die AfD 23 und die Grünen 6 Mandate erhalten (statt der auf Basis der ARD-Berechnungen berichteten 22 und 7 Mandate)
Gut vier Monate für der Bundestagswahl fanden es mehr als 60% der Deutschen in einer repräsentativen Befragung »gut«, wenn die Bundesregierung in Berlin wechseln würde. Das sind die höchsten Werte, seit diese Frage Anfang der 1990er Jahre erhoben wurde, sagt die Bertelsmann-Stiftung. Lediglich noch jede achte Befragte fände einen Regierungswechsel »nicht gut«. Nur unter den Anhängerinnen der CDU/CSU befand eine relative Mehrheit von 37% (gegenüber 28%), dass ein Regierungswechsel nicht gut wäre. Breitet sich also politische Wechselstimmung im Land aus? Es scheint so:
Die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt läuft bereits: Legt man die Erfahrungen der beiden Frühjahrswahlen am 14. März im Südwesten zugrunde, könnte bereits mehr als ein Drittel der Wahlentscheidungen definitiv per abgesandter Briefwahl gefallen sein. Am Ende könnten am 6. Juni vielleicht nicht einmal die Hälfte der Stimmen direkt im Wahllokal abgegeben werden. Wer sich weiter im Vorfeld des Wahlsonntags mit dem Wahlverhalten im Land beschäftigen möchte, findet in meinen „Vorwahlbericht“, sprich den Teil des Wahlnachtberichts, der sich mit den Vorwahlen und sozialen Hintergründen befasst Daten zur sozioökonomischen Entwicklung, zum Parteiensystem und zum Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt ab 1990.
Die Landtagswahlen haben neue politische Möglichkeiten eröffnet: Regieren ohne die Union könnte möglich sein. Bewährte Persönlichkeiten ziehen ihre Parteien mit. Mein Wahlnachtbericht hier:
Diese Studie ist Ende 2020 in leicht überarbeiteter und korrigierter Form als Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen:
Spätestens als die SarsCov2-Pandemie im Februar 2020 Europa definitiv erreicht hatte, begannen hier folgerichtig breite öffentliche Diskurse über ihre gesellschaftspolitischen Hintergründe und Perspektiven, über den richtigen Weg zur Eingrenzung des Virus, über die Wirkungen auf einzelne soziale Gruppen und Branchen, über ihre Dimension sowie über historische Parallelen und damit verbundene Lehren. Recht schnell verästelten sich die Debatten. Aus unterschiedlichen Nuancierungen und widersprüchlichen Positionen, aus Zielkonflikten samt den damit verbundenen Abwägungen sowie widerstreitenden Interessen wurden zum Teil intellektuelle oder politische Polarisierungen, teils auch Proteste gegen die Corona-bedingten Einschränkungen, realitätsfremde Schuldzuweisungen und sogar Leugnung der Gefährlichkeit des Virus.
Mit den eingeführten Schutzmaßnahmen und Rettungspaketen begann auch die Auseinandersetzung um die Richtung, die die Gesellschaften in und nach „Corona-Zeiten“ einschlagen sollen. Fast alle Positionen betonen dabei, dass die Normalität nach Corona keine einfache Neuauflage der Normalität vor der Krise sein wird und sein darf. Unterhalb dieser Ebene entfaltet sich eine deutliche Konkurrenz klassischer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Denkrichtungen und interessengeleiteter Bestrebungen.
Dem muss sich auch die gesellschaftliche Linke stellen. So sehr sie sich in und durch die Krise in vielen ihrer Positionen und Auffassungen bestätigt sehen mag, so sehr muss sich auch die Linke in der neuen Lage definieren und positionieren, ihre Programmatik befragen, auf die Herausforderungen des Weges zu einer neuen Normalität hin legitimieren und weiter entwickeln. Die Linke hatte und hat aber nie nur Einzelinteressen im Blick, sondern immer auch das gesellschaftliche Ganze, eine gesamtgesellschaftliche Alternative.
Die Frage ist, ob der entsprechende Pfadwechsel jetzt, in der Krise, vollzogen werden kann und muss – oder ob wir nicht eher am Beginn einer Entwicklungsphase stehen, in der wichtige Schritte hin zu einer grundlegenden Transformation eingeleitet werden müssen. Die Autoren gehen davon aus, dass die akute gesundheitliche Krise – einschließlich einer möglichen zweiten Infektions-Welle – noch bis zur Jahreswende 2021/22 anhalten kann und eine “neue Normalität” erst gegen Ende des gerade begonnenen Jahrzehnts erreicht sein wird. Diese “neue Normalität” sollte dann allerdings die Kernelemente einer neuen Entwicklungslogik beinhalten und so strukturiert sein, dass sich die Triebkräfte für immer neuen Wandel entlang dieser Logik frei entfalten und die weitere Richtung bestimmen können.
Dafür braucht es ein Leitmotiv, das Krisenbewältigung mit Krisenprävention verbindet und das sich nicht auf Corona und Gesundheit einengt, sondern auf alle grundlegenden Herausforderungen unserer Zeit zu beziehen ist – vom Klimawandel über die Digitalisierung bis zur Gestaltung der Globalisierung und der Beseitigung der Unterentwicklung.
Um dem gerecht zu werden, plädieren wir für ein Leitmotiv, das in den fachlichen Debatten über Schlussfolgerungen aus der Corona-Krise zunehmend eine Rolle spielt: Resilienz. Allgemein wird darunter die Fähigkeit verstanden, schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen.
Der Begriff der Resilienz ist unter Linken stark umstritten, wird teilweise als systemstabilisierender Herrschaftsbegriff verstanden und stößt auf Ablehnung. Die Autoren hingegen wollen eigene, linke Inhalte und Ansprüche in den Diskurs und in die politische Entscheidungsfindung einbringen – zumal jetzt in der Corona-Krise, wo ein spürbarer Such- und Orientierungsprozess eingesetzt hat. Wir werden begründen, warum das möglich und sinnvoll ist. Es geht uns nicht allein um ökonomische, sondern mindestens genauso um soziale und kulturelle Komponenten – es geht uns um demokratische Resilienz, um Resilienz der Demokratie.
Uns leitet ein normatives Verständnis von Demokratie: Demokratie als Staatsform, als Lebensform und als Denkform, in der sich Demokratie und Gerechtigkeit nicht begrifflich trennen lassen. In diesem Sinne ist Demokratie kein Zustand, sondern der ständige Kampf gegen alle Kräfte, die, wie Rainer Frost jüngst sagte, „dem Ziel entgegenstehen, eine Gesellschaft zu schaffen, in der die Mitglieder einander als Gleiche begegnen und Ungleichheiten insbesondere vor denen gerechtfertigt werden müssen, die am schlechtesten abzuschneiden drohen“[1]. Nicht der Staat, sondern die Bürgerinnen und Bürger sind die letzte Instanz, die für die Behauptung demokratischer Zustände in der Corona-Krise verantwortlich sind.
In diesem Bezugsrahmen betrachten wir verschiedene Aspekte der Bedeutung des Staates und von staatlichem Handeln. Im Moment der Krise setzte bezüglich des Staates eine starke Fixierung auf Rechts- und Verwaltungsakte sowie auf die Bereitstellung von Geld ein. Der Staat ist aber mehr. Er ist in modernen Gesellschaften selbst eine höchst komplexe Struktur mit inneren checks and balances, mit vielfachen Wechselwirkungen und auch Grenzen zu anderen gesellschaftlichen Subsystemen, sozialen Gruppen und Klassen. Er verteilt um und erbringt Leistungen für viele – möglichst für alle und jeden nach Bedarf. Der Staat muss selbst resilient sein. Er braucht Legitimation und Regularien, Autorität, Ressourcen und Partner in der Gesellschaft und in der Welt. Resilienz verlangt vom Staat weitaus mehr als ökonomisch, finanz- oder geldpolitisch determiniertes Herangehen.
Gesellschaft und Staat sind in all ihren Bereichen von Machtverhältnissen geprägt und von vermachteten Strukturen durchzogen. Von ihnen gehen Prämissen und auch Ausschlusskriterien bei politischen Abwägungen aus. Sie können Flexibilität und Innovation verhindern. Macht kann aber auch aus diesem Gerüst heraustreten und sich im Sinne von Hannah Ahrendt als Resultat der menschlichen Fähigkeit erweisen, “sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln.”[2] “Das Grundphänomen der Macht”, so Habermas, ist dann “nicht die Instrumentalisierung eines fremden Willens für eigene Zwecke, sondern die Formierung eines gemeinsamen Willens in einer auf Verständigung gerichteten Kommunikation.”[3]
Dazu will diese Studie einen Beitrag leisten. Wir wollen Ansätze dafür anhand von größeren Debatten-Schwerpunkten der beginnenden Corona-Zeit aufspüren, neue Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten herausstellen und produktiv machen.
Wir nähern wir uns den Dingen sowohl auf die politics- wie auf der policy-Ebene. Es geht also sowohl um den politischen Handlungsraum, um seine Strukturen und Akteure, wie um Schlussfolgerungen für zentrale politische Handlungsfelder, auf denen Veränderungen eingeleitet werden müssen, um den Ansprüchen demokratischer Resilienz entsprechen zu können und eine progressive Entwicklung der Gesellschaft zu ermöglichen. Dabei ist keine geschlossene Studie entstanden, sondern eine Abfolge einzelner, mehr oder weniger selbstständiger Kapitel.
In Kapitel 1 „Resilienz, Demokratie und der Sprung nach vorn“ setzen wir uns mit dem Begriff „Resilienz“ auseinander und behaupten, dass er in den aktuellen Debatten über die Lehren der Pandemie von linker Seite in mehrfacher Hinsicht in Anschlag gebracht werden kann: Stärkung der Systeme und Organisationen der Alltagsökonomie wie der Institutionen und Verfahren einer demokratischen Gesellschaft bzw. der politischen Ökonomie einer sozialen Demokratie.
Kapitel 2 zu „Staat und Demokratie“ resümiert grundlegende Funktionen des bürgerlichen Staates und das Spannungsverhältnis zwischen „Schutz“ und „Freiheit“.
Das Kapitel 3 „Vorbereitsein“ analysiert die Risikoanalysen im Auftrag der Bundesregierung und ihre mangelnde Beachtung im parlamentarischen Betrieb und in der öffentlichen Debatte. Die SARS-Cov-2-Pandemie zeigt, dass „so etwas doch bei uns möglich ist“ und wirft die Frage auf, wie Risikoanalysen angelegt werden müssten, die nicht nur auf eine technisch-organisatorische, sondern auch eine demokratische Krisenbewältigung vorbereiten sollen.
Im Kapitel 4 „Die Stunde der Exekutive und die fehlende Repräsentation“ verfolgen wir die bundesdeutsche Krisenbewältigung zunächst mit der Frage, wie Entscheidungen in einer Situation des Nichtwissens getroffen wurden. Wir behaupten im weiteren, dass es an einer transparenten „Kultur“ des Abwägens zum Beispiel verschiedener Grundrechte, Folgen und Wirkungen sowie des Experimentierens mangelt, gerade in einer Zeit, in der experimentelle Politik gefragt ist. Weiter stellen wir fest, dass es sowohl im politischen Betrieb als auch in der medialen Öffentlichkeit erhebliche Lücken in der Repräsentation von Interessen, Sorgen, Notlagen, Sichtweisen du Zweifeln gab und gibt.
Im Kapitel 5 „Auf der Suche nach der Welt und ihrer kleinsten Einheit“ verfolgen wir zunächst, wie und warum die nationalstaatlichen Grenzen und die nationalstaatlichen Kompetenzen in der ersten Phase der Corona-Bedrohung zum entscheidenden Rahmen für die Abwehr des Virus und zur Begrenzung seiner Ausbreitung wurden. Sodann arbeiten wir heraus, dass herkömmliche administrative und politische Grenzen auch als Instrumente des ersten Zugriffs für die Pandemie-Bekämpfung und für eine an Resilienz-Kriterien orientierte Bewältigung einer solchen Herausforderung nur bedingt geeignet sind. Schließlich entwickeln wir, wie und warum innerstaatliche und europäische regional basierte Strukturen einen besseren Zugriff ermöglichen. Fluchtpunkt der Überlegungen ist die These, dass für Resilienz eine möglichst große Übereinstimmung von Räumen des Alltags und Räumen der politischen Entscheidung förderlich ist.
Im Kapitel 6 „Eine neue Etappe für den Vorsorgestaat“ zeigen wir eingangs kurz, wie der moderne, auf Vorsorge orientierte Staat immer auch eine Lehre aus Naturkatastrophen wie sozialen Katastrophen war und sich in seiner konkreten Gestalt im Ergebnis gesellschaftlicher Kräftekonstellationen und Kräfteverhältnisse gestaltete. Vor diesem Hintergrund untersuchen wir dann Resilienz einerseits als Resilienz der gesellschaftlichen Subsysteme (z. B. des Gesundheitswesens), andererseits als Resilienz der sozialen Ordnung (von der Einkommensverteilung bis zur Integration sozialer Gruppen in die sozialstaatliche Absicherung).
Im Kapitel 7 „Kapitalismus geht auch anders“ setzen wir uns mit Verantwortung und Möglichkeiten des Staates für eine nicht nur auf „Rettung“ des Bestehenden, sondern auf transformatorische Erneuerung und progressive Anpassung des Wirtschaftsorganismus an strategische Strukturwandelprozesse zielende Intervention auseinander. Mit Blick auf die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen plädieren wir dafür, den Blick über klassische Umverteilung und Verschuldung hinaus auf eine verantwortungsvolle Umgestaltung des Finanzsektors zu richten, die auch Teile des gigantischen virtuellen Geldüberhangs investiv in die Realwirtschaft überführen und damit für die Bewältigung der Corona-Krise nutzbar machen könnte.
Die
Corona-Pandemie kam wie
aus heiterem Himmel und doch mit Ansage. Die Krise wird nicht
irgendwann vorbei sein und die Welt zur Normalität zurückkehren.
Das kann man auf jeden Fall von vorhergehenden globalen Pandemien und
Krisen lernen: Manche bleiben an der Oberfläche, andere gehen in die
Tiefe. Die Zukunft ist dann nicht mehr das aufgrund der bisherigen
Erfahrungen zu erwartende, sondern etwas Unerwartetes. Sie ändert
ihre Richtung. Dass die Corona-Krise eine solche tiefe Krise ist,
dafür spricht unter anderem, dass sie zeitlich zusammenfällt mit
den globalen Wirtschaftskämpfen und der Neuordnung der
internationalen Arbeitsteilung, der heraufziehenden Klimakatastrophe,
den Migrationsbewegungen und der Krise der Demokratien. Wenn es nicht
wieder so sein wird, wie es war, was wäre dann für das Handeln in
Zeiten großer Unsicherheit und Unberechenbarkeit zu bedenken?
Hamburg hat gewählt und Grünen und CDU ein Rekordergebnis mit umgekehrten Vorzeichen beschert. AfD und FDP schaffen entgegen ursprünglichen Prognosen doch den Wiedereinzug in die Bürgerschaft. SPD verliert kräftig und bleibt trotzdem die „Hamburg-Partei“. DIE LINKE wird in sechs von 17 Wahlkreisen stärker als die CDU… Hier der vollständige Bericht:
Die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten im Erfurter Landtag, die Annahme der Wahl sowie der am folgenden Tag erfolgende Rücktritt vom Amt des Ministerpräsidenten haben die Krise des bundesdeutschen Parteiensystems verschärft. Die Parteivorsitzende der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer trat wegen offenkundigen Autoritätsverlustes und unterlassener politischer Führung zurück. Eine Neuordnung des Parteiensystems steht bevor. CDU und Linkspartei spielen derzeit die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die von der AfD ausgelöste politische Krise konstruktiv zu wenden. Ordnet sich das Verhältnis der Parteien zueinander im Links-rechts-Schema neu oder kommt es zu einem tripolaren Verhältnis?
Gewerkschaftsmitglieder bilden den Kern der »organisierten Arbeitnehmerschaft«: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich aufgrund ihrer Stellung im gesellschaftlichen Arbeitsprozess organisieren, um ihre Interessen als abhängig Beschäftigte gemeinsam, solidarisch und kollektiv, zu vertreten. Die Frage nach dem Wahlverhalten von Gewerkschaftsmitgliedern unterstellt, dass Gewerkschafter andere Wahlentscheidungen treffen könnten als andere abhängig Beschäftigte, weil sie Mitglied einer Gewerkschaft sind. Organisierte Arbeiter und Angestellte haben, so die Annahme, einen eigenen Blick auf Politik und Gesellschaft, der sich der Sichtweise nichtorganisierter Kolleginnen und Kollegen unterscheidet. Auch wird implizite angenommen, dass bei der Wahlentscheidung von Gewerkschaftern die Berücksichtigung gewerkschaftlicher Anliegen in Programm und Handeln der Parteien eine besondere Rolle spielen könnte, kurz: dass sie ihre Wahlentscheidung primär als Gewerkschafter und nicht als Religionsangehöriger, Familienvater, Angehöriger einer Bürgerinitiative usw. treffen. Tatsächlich bestätigen Analysen, dass sich die Parteipräferenzen und das Wahlverhalten von Gewerkschaftern von denen anderer Wählergruppen unterscheiden. Sie wählten weitaus häufiger die SPD als die gesamte Wahlbevölkerung. Die Sozialdemokratie schnitt unter Gewerkschaftern immer deutlich besser ab als in der Gesamtbevölkerung. Das ist auch heute noch so: Gewerkschafter wählen häufiger SPD und LINKE als die Gesamtbevölkerung und seltener CDU und FDP. Aber mit der AfD hat sich seit 2016 eine weitere Partei etabliert, die von Gewerkschaftsmitgliedern häufiger als von der Gesamtbevölkerung gewählt wird. Entsprechende Daten der Forschungsgruppe Wahlen habe ich hier zusammengestellt und ein wenig kommentiert: