Ein Zwischenbericht mit anschließender Einladung
Seit der vergangenen Bundestagswahl beschäftigen sich Politik und Medien immer mal wieder mit der Frage, wie der Union das Kanzleramt bei der nächsten oder übernächsten Wahl wieder abzujagen sei. Die Ausgangsbedingungen haben sich fundamental verändert:
- auf dem politisch-medialen Handlungsfeld haben sich nach der anhaltenden rotgrün Schwäche ernsthafte schwarz-grün Optionen aufgetan: maßgebliche Kräfte der Grünen können sich grundsätzlich eine Koalition mit einer modernisierten Union vorstellen, und ausgerechnet der ehemals konservativste Landesverband der Union, der hessische, praktiziert den Handschlag;
- im gesellschaftlichen Handlungsfeld müssen die drei Parteien links von der Union ihr historisch schwächstes Gesamtergebnis verarbeiten;
- die außerparlamentarische Opposition ist so stark wie lange keine mehr, sie ist jung, aber pateipolitisch eher rechts als links einsortiert (siehe hier: http://www.rosalux.de/publication/40316/ausgewaehlte-ergebnisse-der-repraesentativen-wahlstatistik-zur-bundestagswahl-2013.htm);
- die Partei DIE LINKE, ohne die eine Sozialdemokratin oder ein Sozialdemokrat im Kanzleramt derzeit nicht vorstellbar ist (es sei, eine sozialliberale Partei entstiege dem Scherbenhaufen, zu dem die FDP den politische Liberalismus in Deutschland zerschlagen hat, und es entstünde die Option auf eine »Ampelkoalition«), stellt sich endlich auf den unter den veränderten Bedingungen anstehenden Erneuerungsprozess ein und fragt, welche Partei sie sein will, z.B. hier: http://www.prager-fruehling-magazin.de/de/topic/6.redaktionsblog.html
In diesem Zusammenhang ist auf zwei neue Buchpublikationen hinzuweisen:
Gerade erschienen ist von Benjamin-Immanuel Hoff die Flugschrift „die linke: partei neuen typs?“ (VSA-Verlag – http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/die-linke-partei-neuen-typs/) Hoff klopft zunächst das Parteientwicklungspapier von Katja Kipping und Bernd Riexinger auf seine analytische Stringenz ab: Welche Typen von Partei befinden sich in der Debatte, welche Geschichte haben diese Begriff? Was haben die Debatten um die Parteiform mit den Veränderungen von Milieus in der Gesellschaft zu tun, wo kann an linkes Parteiprojekt anknüpfen? Zu diesem Zweck werden die unterschiedlichen theoretischen Ansätze hinter den verschiedenen Milieu-Bildungen behandelt. Schließlich gelingt es Hoff, mit diesen Instrumenten einen neuen politischen und gesellschaftlichen Raum zu konstruieren, in dem die Partei mit ihren unterschiedlichen Strömungen und Zusammenschlüssen auf je spezifische Weise verankert ist, der nicht durch ein einfaches links-rechts-Schema oder durch die Fundi-Realo-Brille strukturiert ist. Auch wer Hoff’s politische Schlussfolgerungen nicht teilt: Auf den gut 140 Seiten wird eine Einführung in die Begrifflichkeiten, die durch die Parteientwicklungsdebatte geistern, gegeben, die das Büchlein zu einem „Muß“ für die linke politische Bildungsarbeit machen.
Ein paar Wochen früher erschien in der „Flugschrift“-Reihe des Verlags von Tom Strohschneider „linke mehrheit? über rot-rot-grüne, politische bündnisse und hegemonie“ (http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/linke-mehrheiten/). Der heutige Chefredakteur des »neuen deutschland« und ehemalige (mit-)Betreiber des verflossenen Blogs „Lafontaines Linke“ zeichnet die Geschichte der erfolglosen Annäherungsversuche der Linken in SPD, PDS/LINKE und Grünen nach. Auf den Fluren des Gebäudes Franz-Mehring-Platz 1 in Friedrichshain (FMP1) entstand die Idee, über Geschichte und Aussichten von »R2G« ein öffentliches »Kamingespräch«, einen Gedankenaustausch zu führen (9. April 2014 – http://www.rosalux.de/event/50591/ist-rot-rot-gruen-schon-am-ende-ueber-kleine-chancen-und-dauerhafte-grenzen-im-linken-lager.html).
Für dieses Gespräch verfasste Horst Kahrs, also ich :-), anschließend an meine drei hier unter „Große Fragen links der Mitte“ zusammengestellten Texte von Ende 2013, einen Beitrag für die sozialistische Tageszeitung »neues deutschland« (http://www.neues-deutschland.de/artikel/929264.bisher-nur-eine-spielmarke.html), in dem ich vor allem zwei Thesen vertrete:
- die politische Schwäche von Linkspartei, SPD und Grünen geht auf eine Missachtung fundamentaler Veränderungen in der gesellschaftlichen (beruflichen) Arbeitsteilung zurück, die neue soziale Gruppen, Einstellungen und Sichtweisen auf Arbeit und Gesellschaft hervorgebracht haben (hierzu arbeitet der Gesprächskreis »Sozialstrukturanalyse und Soziale Ungleichheit« der RLS maßgeblich auf der Basis neuer empirischer Daten von Michael Vester und Sonja Weber-Menges), an die die drei Parteien (aber nicht nur sie) den Anschluss verloren bzw. nicht gesucht haben;
- in der politischen Arena ist nicht davon auszugehen, dass es angesichts dieser Schwäche einen Richtungswahlkampf »Rot-Rot-Grün« gegen »Schwarz+« geben wird. Vielmehr werden sich die Grünen, als Partei in Schichten aus der oberen Einkommenshälfte der Gesellschaft verwurzelt, mehrere Optionen bis nach der Wahl offenhalten, ebenso die SPD. Erst eine gesellschaftliche Debatte über politische Projekte, die nur mit SPD und Linkspartei durchzusetzen wären, könnte der Ausgangspunkt für anschließende politische »Angebote« an die Grünen sein.
Auf diesen Beitrag reagierte Horst Arenz (nd 27.4.2014) und wies daraufhin, wie notwendig und wünschenswert es sei, die Veränderungen in der Berufs- und Sozialstruktur mit Analysen des Alltagsbewusstseins zu verbinden, um festeren Grund bei der Suche nach erfolgreichen linken Parteistrategien zu bekommen (http://www.neues-deutschland.de/artikel/931195.am-alltagsbewusstsein-anknuepfen.html).
Michael Brie und Dieter Klein (nd 5.5.2014) stellten in ihrer Antwort heraus, dass eine politische Zusammenarbeit der drei Parteien nur dann ein politischer Fortschritt sein, wenn sie einen grundlegenden gesellschaftspolitischen Richtungswechsel ausdrücke und auf einem »sozialökologischen Gesellschaftsvertrag« basiere (http://www.neues-deutschland.de/artikel/931823.die-linken-und-das-staerkste-fernrohr.html).
Ebenfalls am 5. Mai erschien ein Beitrag von Benjamin-Immanuel Hoff auf der Basis seines oben empfohlenen Buches (http://www.neues-deutschland.de/artikel/931939.grosse-aufgabe-schmales-zeitfenster.html).
Auf Brie/Klein antwortete ich mit dem Versuch, die unterschiedlichen Fragestellungen, die es offenbar in der Debatte gibt, herauszuarbeiten sowie mit dem Verweis, dass es wie beim Mindestlohn politische Einzelforderungen mit einer gesellschaftspolitischen Hebelwirkung gäbe, die mehr Wirkung entfalten könnten als alle Versuche, eine rot-rot-grüne Richtungsalternative auszuarbeiten (http://www.neues-deutschland.de/artikel/932054.eine-frage-von-hebeln-und-traegern.html).
Mittlerweile gibt es einen weiteren Beitrag von Heinz Niemann (nd, 9.5.2014), der die Debatte für das politische Handlungsfeld der Parteien weiterführt (http://www.neues-deutschland.de/artikel/932408.parteiegoistisches-handeln-ist-gefragt.html).
Ein erstes Ziel könnte mit diesen Beiträgen schon erreicht sein: Das »neue deutschland« als Ort der argumentativen Auseinandersetzung über die Probleme linker Politik, (früher hätte man gesagt: … des Klassenkampfes) zu nutzen, Frage- und Problemstellungen zu entwickeln, zu verbreitern und zur Beteiligung einzuladen.
Wir mittun will, kann sich direkt an Tom Strohschneider beim »neuen deutschland« wenden.
Wer insbesondere etwas beitragen oder fragen möchte zu Veränderungen in der Berufs- und Sozialstruktur, in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und dem Zusammenhang zum »Alltagsbewusstsein« und seinen verschiedenen Ausprägungen, kann sich gerne auch an mich wenden: kahrs@rosalux.de